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SPD Ötisheim

Renate Schmidt MdB: Familie bringt Gewinn

Bundespolitik

Die ehemalige Familienministerin Renate Schmidt hielt am 8. Juli 2009 im Haus der Volkshochschule Pforzheim/Enzkreis eine bedeutungsvolle Rede zur Familienpolitik der SPD, die wir hier im Wortlaut wiedergeben.

"Familie bringt Gewinn"
Ich gebe zu, meine Begeisterung durch deutsche Lande zu reisen und so wie heute von Nürnberg über Mainz nach Mühlacker zu fliegen und zu fahren, dort Einrichtungen besuchen, dann nach Pforzheim, Redaktionsbesuch und hier Rede halten und dann morgen nach Düsseldorf zu fahren, meine Begeisterung für solche Tagespläne ist nicht mehr ganz so groß wie am Anfang meiner politischen Laufbahn vor gut 28 Jahren.
Für Katja Mast habe ich das aber gerne getan.
Warum?
Weil ich Abgeordnete mag, die bevor sie hauptberuflich in die Politik gegangen sind schon etwas auf die Beine gestellt haben, weil ich Abgeordnete schätze, die Lebenserfahrung ha- ben und diese Lebenserfahrung in politische Kompetenz ummünzen, weil wir Abgeordnete brauchen, die sich kümmern, weil ich Abgeordnete mag, die nicht abheben und mitten unter ihren Wählerinnen und Wählern leben und sich für deren Interessen in Berlin einsetzen, also im wahrsten Sinn „abgeordnet“ sind. Weil ich Abgeordnete mag, die neue Wege gehen und Menschen begeistern - vor allem junge Menschen. Genau das tut Katja mit ihrem Projekt „Junger Rat für Mast“. Ein Projekt, das einmalig ist in Deutschland, das die Ideen junger Leute ernst nimmt und ihnen gleichzeitig politische Zusammenhänge und die Arbeit von Abgeordneten transparent macht.
Lebenserfahrung, Kompetenz, Bodenständigkeit, Fantasie: All diese Eigenschaften treffen auf Katja zu.
Was sie trotz ihrer gerade mal 38 Jahre bisher auf die Beine gestellt hat, kann sich sehen lassen. Gelernte Bankkauffrau, die in diesem Beruf auch gearbeitet hat, studierte Biologin, Politologin, Pädagogin, Geographin, Forschung in Madagaskar, Führungsaufgaben in der freien Wirtschaft, Arbeitsmarktexpertin bei der Deutschen Bahn AG, und und und…
Ein Wunder, dass sie dann sogar noch Zeit für ehrenamtliches Engagement, für ihren Lebensgefährten und für die Natur und das Wandern hat.
Solche Abgeordnete braucht das Land.
Herzlichen Glückwunsch, Sie haben mit Katja Mast als Ihrer Abgeordneten ein großes Los gezogen.
Und deshalb bin ich gerne gekommen, obwohl ich ein politisches Auslaufmodell bin, nicht mehr kandidiere.
Ich werde im Übrigen laufend mit bedauerndem Blick gefragt, ob mir das mit dem Aufhören nicht schwer fällt und ob ich nicht sehr traurig darüber bin, dass meine Nachfolgerin als Fa- milienministerin die Lorbeeren für die von mir begonnene Politik einheimst. Auf die erste Frage antworte ich: Nein, ich freue mich riesig auf einen neuen Lebensabschnitt mit weniger Terminen und viel Familie und Reisen. Auf die zweite Frage kann ich nur sagen:
2 Mütter – (und damit beim Thema…)
Ich möchte mit einem Beispiel beginnen:
Bliebe es bei der derzeitigen Geburtenrate von 1,3 Geburten/ Frau, bei dem derzeitigen Renteneinstiegsalter von 64 Jahren, dem jetzigen Umfang und der Art der Zuwanderung, der derzeitigen Frauenerwerbsbeteiligung von gut 60 Prozent, dann hätten wir im Jahr 2040 nach Berechnung von Bevölkerungswissenschaftlern statt heute zwischen 40 Millionen Erwerbstätigen im Jahr 2040 noch 24 Millionen und die Hälfte davon wäre über 45 Jahre alt.
Was das für Forschung und Technologie und für die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft bedeutet, haben wir uns bisher genauso wenig vorgestellt wie das, was es für uns selbst bedeutet.
Ich möchte im Jahr 2040 noch leben. Ich werde dann 97 Jahre alt sein. Meine drei Kinder sind dann 79, 77 und 70 Jahre alt. Die drei sollen mich dann pflegen? Meine Vermutung geht dahin, wie so oft wird es umgekehrt sein – Mutter pflegt. Vom Persönlichen zum Allgemeinen: Wir müssen uns irgendwann einmal klar machen, wenn wir alt sind und Hilfe brauchen werden uns unsere Aktiendepots nicht pflegen können, auch unser Immobilienbesitz kann uns nicht in der Gegend herumkutschieren, wenn wir selbst nicht mehr Auto fahren können und selbst unsere Sparguthaben sind unfähig dazu uns die Dienstleistungen, die wir dann brauchen angefangen vom Brötchen backen bis hin zur medizinischen Versorgung zu bieten. Dazu bedarf es real existierender Menschen und zwar hier bei uns und nicht in Indien oder der Ukraine. Wenn irgendjemand sagt, „ja, liebe Frau Schmidt da haben Sie aber nicht aufgepasst, wir haben doch ein neues Zuwanderungsgesetz. Das regeln wir über Einwanderung.“ Da kann ich alle Neugierigen nur warnen. Bevölkerungswissenschaftler haben errech- net, dass wollten wir den heutigen Altersquotienten – das ist das Verhältnis der heute über 60jährigen zu den heute unter 60jährigen – wollten wir diesen Altersquotienten bis 2040 erhalten, müssten bis dahin insgesamt eine hohe zweistellige Millionenzahl an Menschen zu uns einwandern. Eine absurde, nicht integrierbare Zahl.
Die OECD prophezeit der EU und insbesondere Deutschland ab 2030 ein maximales Wachstum von 0,5 Prozent, hervorgerufen durch die demographische Entwicklung und die unzureichenden Reaktionen aller Beteiligten.
Von diesem demographischen Wandel – die Alterspyramide hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten in die Form einer Urne verwandelt und ist auf dem besten Weg zu einem Pilz zu werden, der aufgrund seines großen und schweren Hutes und seines dünnen Stiels in Gefahr ist abzuknicken – von diesem demographischen Wandel haben 50 Prozent der Bevölkerung noch nichts gehört. In der Hit- Liste der politischen Probleme tauchen zwar damit zusammenhängende Einzelprobleme wie Renten- oder Gesundheitspolitik auf, die für innovative Konzepte viel wichtigere Bildungspolitik liegt abgeschlagen auf hinteren Rängen, Familienpolitik fehlt völlig.
Nun meinen manche: Blieben die Frauen nur zu Hause, würden sie sich auf ihre angeblich schöpfungsgewollte Rolle – Eva Herman lässt grüßen – nämlich Mann, Kinder, Haushalt zurückziehen, gäbe es auch wieder mehr Kinder.
So hübsch und auf den ersten Blick einleuchtend dies klingen mag, so falsch ist es. Dies zeigt uns das übrige europäische vergleichbare Ausland: In den meisten europäischen Ländern ist die Frauenerwerbsquote deutlich höher als bei uns. Bei uns liegt sie bei rund 60 Prozent, in Skandinavien oder Frankreich, aber auch in Island, dem europäischen Land mit der höchsten Geburtenrate, ist sie deutlich höher, nämlich bei annähernd 80 Prozent. Gleichzeitig liegt in diesen Ländern die Geburtenrate auch deutlich höher, in Frankreich bei knapp zwei Geburten pro Frau, in den skandinavischen Ländern zwischen 1,5 und 1,8 Geburten je Frau. Das Fatale ist, dass die Zahl der Kinder abnimmt je höher der Bildungsstand ist, und dass die Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen signifikant höher ist als bei Nichtakademikerinnen. Das heißt, in so genannten bildungsnahen Gesellschaftsgruppen gibt es immer weniger Kinder in bildungsfernen mehr. Dies hat natürlich auf den Bildungsstand der Gesamtbevölkerung, wenn wir nicht die Kinder aus bildungsfernen Schichten deutlich besser fördern, erhebliche Auswirkungen.
Ich darf Ihnen im übrigen verraten, dass sowohl dieses Phänomen, als auch die niedrige Geburtenrate kein Problem der Frauen ist, Männer haben auch nicht mehr Kinder als Frauen, ihre Kinderlosigkeit ist noch höher als die der Frauen und auch hier ist es so, dass Akademiker weniger Kinder haben als Nichtakademiker und häufiger kinderlos sind.
Nach einer Allensbachumfrage ist der von Frauen am häufigsten genannte Hinderungsgrund ein Kind zu bekommen, dass sie nicht den richtigen Partner gefunden haben, der bereit wäre mit ihnen eine Familie zu gründen.
Väterstudie -
Aber zurück zu den Frauen und den Kindern:
Warum haben wir in Deutschland so wenige Kinder?
Wir haben in Deutschland wie im übrigen Europa auch heute die am besten gebildete und ausgebildete Frauengeneration, die es je gab. Frauen haben die Männer bei den Bildungs- abschlüssen schulischer, beruflicher und akademischer Art nicht nur eingeholt sondern sogar überholt.
Was bieten wir in Deutschland- West dieser so gut qualifizierten Frauengeneration für ein Lebensmodell an? Sich gut ausbilden lassen, ein paar Jahre erwerbstätig sein, dann tickt die biologische Uhr und die Entscheidung Kind ja oder nein muss getroffen werden. Fällt die Entscheidung in Westdeutschland pro Kind, dann heißt es für die Mutter erst einmal drei Jahre raus aus dem Beruf weil gute Krippenplätze (Versorgungsquote in Westdeutschland rund 10 %) genauso fehlen wie qualifizierte Tagesmütter.
Ergattert sie nach 3 Jahren so genannter Babypause - obwohl diese Zeit mit Pause nur wenig zu tun hat - einen der in Westdeutschland raren Ganztageskindergartenplätzen – Versorgungsquote rund 30 Prozent – kann sie wieder erwerbstätig sein. Vielerorts heißt aber Ganz- tageskindergartenplatz folgendes: Kind früh bringen, spätestens um 12 Uhr, 12:30 Uhr abholen, Kind zu Hause die Ravioli aus der Dose oder die Fischstäbchen aus der Tiefkühltruhe servieren, ist – weil zu Hause – angeblich viel gesünder als ein Essen im Kindergarten, Kind um 14 Uhr wieder bringen und Kind spätestens um 17 Uhr wieder abholen. Damit ist nicht einmal eine vernünftige Halbtagsbeschäftigung möglich und die Frauen im übrigen Europa fragen uns, ob wir eigentlich alle Tassen im Schrank haben, dass wir uns das drei Jahrzehnte haben gefallen lassen.
Aber nehmen wir an, die Mutter hat einen dieser raren wirklichen Ganztagsplätze gefunden, dann kann sie wieder rein in den Beruf, nach weiteren drei Jahren heißt es aber wieder raus aus dem Beruf: Kind kommt in die Schule und die hört einmal um eins, einmal um 11 und dreimal um 12 Uhr auf, Ganztagsschule Fehlanzeige.
In Deutschland sind die Mütter und nicht die Lehrerinnen und Lehrer verantwortlich für den Schulerfolg der Kinder und nachmittags sind sie nicht nur Nachhilfelehrerinnen der Nation, sondern in ländlichen Regionen auch noch Taxifahrerinnen ihrer Kinder um sie zum Gitarrenunterricht, in den Sportverein oder zur Französisch- Nachhilfe zu fahren.
Dann mit 12, 14 Jahren sagen die lieben Kleinen: „Also Mutter, eigentlich gehst Du uns etwas auf den Geist, wir kommen auch ganz gut alleine zurecht.“
Dann kommt etwas, da läuft es mir alleine wenn ich das Wort höre kalt den Rücken herunter. Dann werden wir „wiedereingegliedert“. Und ich frage mich, wohin wurden wir denn ausgegliedert, haben wir auf einem fernen Planeten gelebt, während wir uns um unsere Kinder gekümmert haben, sind wir ein bisschen deppert geworden, weil wir unseren Familienpflichten nachgegangen sind?
Wir müssen wiedereingegliedert werden. Dieses Wort stört mich deshalb so sehr, weil es für die betroffenen Frauen nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als wieder ganz von vorne anfangen zu müssen, weit unterhalb der erworbenen Qualifikationen und weit unterhalb des ehemals erzielten Einkommens.
Dieses Lebensmodell haben die meisten Frauen satt bis Unterlippe Oberkante und für Männer wird es nie attraktiv werden.
Damit ich nicht missverstanden werde, ich will weder Müttern noch Vätern vorschreiben wie sie leben sollen. Politik hat dies den Menschen nicht vorzuschreiben, sondern dafür zu sor- gen, dass sie leben können wie sie es wollen.
Wir haben aber zur Kenntnis zu nehmen, dass es für die meisten Frauen immer noch heißt Kind oder Karriere und für zu viele sogar Kind oder Beruf: 70 % der Mütter die zu Hause sind wären lieber mindestens in einer großen Teilzeitstelle erwerbstätig.
Eine jüngste Studie des DIW kommt zu dem Ergebnis, dass die Lebenszufriedenheit von Müttern, die Vollzeit arbeiten können, am größten ist und dies gerade auch in einfachen Tätigkeiten. Nicht zuletzt deshalb werden und müssen wir die steuerlichen Benachteiligungen von erwerbstätigen Frauen beseitigen.
Im übrigen Europa um uns herum sieht es anders aus. Die Versorgungsquoten mit guten Krippenplätzen mit exzellenten Personalschlüsseln und ausgebildeten Tagesmüttern liegen zwischen 35 und 60 Prozent, Ganztagskindergärten sind die Regel mit flexiblen Öffnungszeiten, in Frankreich die kostenlosen Ecole Maternelle, die 97 Prozent der 3- 5 jährigen besuchen und ebenso sind Ganztagsschulen in all diesen Ländern die Regel und nicht wie bei uns die Ausnahme.
Dort wurden im Gegensatz zu Deutschland die richtigen Konsequenzen aus den Bildungsreformen der 60er Jahre von denen vor allem Frauen profitiert haben gezogen.
Es stimmt eben nicht, dass Kinder ausschließlich zu ihrer Mutter gehören und Krippen, Tagesmütter, Ganztageskindergärten und –schulen Kindern schaden und die Familien zerstö- ren.
Für diese Behauptungen gibt es keine seriösen Beweise. Natürlich brauchen Kinder Eltern, die sie lieben und Zeit für sie haben. Kein Elternpaar der Welt stellt sich vor, sein Kind nach der Geburt in einer Krippe oder bei einer Tagesmutter abzugeben um es mit 18 Jahren mit den vorher vereinbarten Qualitätsmerkmalen aus einer Ganztagsschule abzuholen.
Kinder brauchen Zeit mit ihren Eltern und Eltern wollen Zeit mit ihren Kindern verbringen. Zeit, das ist heute das Zauberwort für ein geglücktes Familienleben.
Aber Zeit haben, d.h. nicht 24 Stunden am Tag. Kinder brauchen genau so wie ihre Eltern andere Kinder zum spielen und lernen, sie brauchen die bestmögliche und frühestmögliche Förderung, nicht nur in der Familie sondern auch außerhalb. In keinem der Länder mit Ganztagskindergärten und –schulen, mit hohen Quoten an Krippenplätzen sind die jungen Leute verhaltensauffälliger, drogenabhängiger oder krimineller, im Gegenteil, sie haben sogar noch bessere Pisa- Ergebnisse.
Wir leisten es uns aber in Deutschland nicht nur zu wenig Geld für Bildung auszugeben, sondern das zu wenige geben wir sogar noch falsch aus: Am meisten für die Oberstufen der Gymnasien und am wenigsten für den frühkindlichen Bereich. Am bildungsfähigsten sind aber Kinder im Vorschulalter. Dort kann man noch 80 Prozent ihrer Fähigkeiten positiv beein- flussen in den Oberstufen der Gymnasien noch maximal 10 Prozent.
Um das zu ändern sind alle gefordert: Für die bestmögliche Förderung und Bildung unserer Kinder und eine gute Infrastruktur für Familien ist die Politik zuständig.
Sie muss für ausreichend viele und vor allem qualifizierte gute Krippen, Tagesmütter, Kitas und Ganztagsschulen sorgen.
Kitas sind nicht nur Betreuungseinrichtungen, sie dienen nicht nur der besseren Vereinbarkeit von Kindern und Beruf, sondern sie sind auch Bildungs- und Erziehungsinstitutionen ergänzend zur Familie und manchmal anstatt wenn wir es mit Kindern und ihrem Wohl wirklich ernst meinen. Denn die größte Ungerechtigkeit bei uns ist nicht die eventuell zu kurze Dauer des ALGI- Bezugs oder zu niedrige Transferleistungen bei ALGII. Die größte Ungerechtigkeit ist die Tatsache, dass ein Kind aus einer bildungsfernen, ärmeren Familie bei gleicher Intelligenz und gleichen Begabungen eine sechsmal schlechtere Chance hat Abitur zu machen als ein Kind aus einer bildungsnahen, gutsituierten Familie.
Deshalb geht es uns jetzt nicht mehr nur um mehr Quantitäten bei der Kinderbetreuung, sondern um mehr Qualität: Also besser qualifizierte und besser bezahlte Erzieherinnen und möglichst bald auch mehr Erzieher, kleinere Gruppengrößen in Krippen und Kitas und vor allem kostenlose Kindereinrichtungen.
Das alles ist deutlich wichtiger als ein unsinniges Betreuungsgeld wie es die Union will.
Wir brauchen in unserem eigenen Interesse die bestmögliche Integration der Migrantenkinder und die bestmögliche Förderung aller Kinder: Denn kein Kind darf verloren gehen.
Wir brauchen mehr und bessere Ganztagsschulen. Schulen – ganztags oder nicht – die die Freude am Lernen nicht schon in der dritten Klasse erstickt, die Schülerinnen und Schüler individuell fördert statt sie kollektiv einzuteilen und auszugrenzen.
Der viel gepriesene Föderalismus macht es der Politik schwer hier vernünftige Lösungen durchzusetzen. Verbindliche Bildungspläne für Kitas und Schulen , das bundesweit einheitliche Fördern von Ganztagsschulen, all das ist föderal - und durch die jüngste Verfassungsänderung noch mal verstärkt – nur unzureichend durchsetzbar. Ich habe deshalb der Föderalismusreform I nicht zugestimmt, weil ich felsenfest überzeugt bin, dass wir uns in Zeiten der Globalisierung bildungspolitische Kleinstaaterei nicht leisten können.
Dennoch, die Politik hat sich auf den Weg gemacht, bis 2010 werden wir im europäischen Konzert bei Krippen und Tagesmüttern einigermaßen mithalten können. Ab 2013 wird es einen Rechtsanspruch auf Kita- Plätze ab dem 2. Lebensjahr geben. Ganztagsschulen sind auch bei Konservativen kein Teufelswerk mehr und die Erkenntnis, dass von der frühen Förderung der Kinder, ihrer bestmöglichen Bildung und Ausbildung die Zukunft unseres Landes abhängt ist in der Zwischenzeit Allgemeingut. Wenn diesem Wissen die Taten etwas schneller folgen würden könnten wir beruhigter in die Zukunft schauen.
Für Zeit für Kinder und Familien ist überwiegend die Wirtschaft zuständig. Die Politik hat mit der Elternzeit und mit dem Teilzeitgesetz ihre Hausaufgaben gemacht. Damit Kinder und Familie ein Erfolgsfaktor für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden, müssen Unternehmen umdenken.
Frau v. d. Leyen hat mir erzählt, als sie sich, damals fünffache Mutter, in den USA um eine Stelle beworben hat und der Personalverantwortliche sie fragte: Sie haben fünf Kinder? Sie dachte, jetzt ist es aus. Als sie die Frage bejahte war die Antwort: „Sie haben den Job.“ Bei uns muss sich eine Mutter bereits mit ein, zwei Kindern die Frage gefallen lassen: Schaffen Sie das denn mit ihren Kindern, fallen sie nicht häufig aus? Und die Entscheidung fällt lieber für die kinderlose Frau.
Dabei lohnen sich Investitionen in Familienfreundlichkeit für die Unternehmen nicht nur i- deell, sondern in Euro und Cent.
Von einer besseren Balance von Familie und Arbeitswelt profitieren
→ Die Familien, denn sie werden bei der Koordination von Berufs- und Privatleben ent- lastet.
→ Der Staat, weil er durch eine höhere Erwerbsbeteiligung Steuern und Sozialabgaben einnimmt.
→ Die Unternehmen, für die eine familienorientierte Personalpolitik Kosteneinsparungen und Wettbewerbsvorteile bringt.
Die Prognos AG hat im Jahr 2003 zehn „typische“ mittlere Unternehmen untersucht. Ausgewählt hatten wir die Unternehmen in Abstimmung mit dem DIHK. Es ging um die Frage: Was kostet es familienfreundliche Arbeitszeiten einzuführen, Wiedereinstiegsprogramme für Frauen nach der Elternzeit anzubieten, Telearbeitsplätze zu schaffen oder auch – bei den größeren Unternehmen – in eine Kinderbetreuung zu investieren? Und wie sieht der betriebswirtschaftliche Nutzen aus?
Diese Untersuchung haben wir dann bei Großbetrieben und – besonders interessant – gemeinsam mit dem ZdH in Handwerksbetrieben durchgeführt.
Das Ergebnis war beeindruckend: Selbst angesichts der damaligen angespannteren Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage betrug die durchschnittliche Rendite in allen Arten von Be- trieben und allen Betriebsgrößen 25 Prozent. Dies waren allein im Unternehmen von Herrn Georg Ludwig Braun, dem Präsidenten des DIHK, damals 350 000 Euro im Jahr und die Fraport AG zum Beispiel sparte nach eigener Aussage durch ihre familienfreundlichen Maßnahmen knapp eine Million Euro pro Jahr.
Weil die Fluktuation sinkt, weil der Krankenstand sich verringert, weil Einarbeitungskosten für neue Mitarbeiter entfallen, weil die Motivation steigt und Arbeitsergebnisse in Quantität und Qualität ebenso. Dazu entstehen für die Unternehmen Wettbewerbs- und Standortvorteile, auch bei der Rekrutierung qualifizierter Arbeitskräfte.
Ob in kleinen und mittleren Unternehmen oder in Großbetrieben - für jede Betriebsgröße lassen sich innovative Lösungen finden.
Es gibt viele gute Beispiele, wie die Arbeitswelt familienfreundlicher gestaltet werden kann. Dazu gehören vor allem familientaugliche Arbeitszeiten.
Gleich nach den familienfreundlichen Arbeitszeiten kommt die betriebliche Kinderbetreuung. Nun soll nicht jeder Betrieb einen Betriebskindergarten einrichten, aber eine Notfallbetreuung, Ganztagsbelegplätze in einer öffentlichen Einrichtung und Freistellungsmöglichkeiten über gesetzliche Ansprüche hinaus bei Erkrankung des Kindes können die richtige Lösung sein. Kontakthalten zum Betrieb während der Elternzeit steht auch ganz oben auf der Wunschliste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Telearbeitsplätze, und vieles andere mehr.
Viele konkrete Beispiele dazu gibt es in einem vom Familienministerium und dem DIHKT herausgegebenen Check- Heft: Familienbewusste Personalpolitik.
Familiäre Verpflichtungen beziehen sich aber nicht nur auf die Betreuung von Kindern, sondern in zunehmendem Maße auch auf die Pflege älterer Familienangehöriger. Auch dafür brauchen wir entsprechende Lösungen.
Weitere gesetzliche Freistellungsansprüche dürfen hier nicht die einzige Antwort sein, weil sich diese auf die Arbeitsmarktchancen von Frauen wahrscheinlich nicht gerade positiv auswirken dürften. Ich halte mehr von einem Netz guter Tageskliniken, betreuter Wohngruppen und besserer ambulanter Pflege, die die Erwerbstätigkeit pflegender Familienangehöriger weiter erlauben und sie entlasten.
Eines ist allen Unternehmen, die den Titel „familienfreundlich“ zu Recht tragen, gemeinsam: Bei ihnen ist Familienfreundlichkeit Chefsache!
Engagement zeigt die Wirtschaft auch in der von mir angestoßenen Initiative Lokale Bündnisse für Familie. Sie ist der operative Unterbau unserer Allianz. In diesen Bündnissen arbeiten Unternehmen gemeinsam mit den Kommunen, Kammern, Verbänden und sozialen Organisationen zusammen, um attraktivere Lebensbedingungen für Familien zu schaffen.
In den bisher gegründeten 545 dieser Bündnisse arbeiten nahezu alle IHKs, nämlich 76 (von 80) an der Zahl, und mehr als 5000 Unternehmen nicht nur mit Worten sondern auch mit Taten mit.
Eine dieser Taten sollte sein, dass Vätern mehr als bisher in den Betrieben ermöglicht wird, Elternzeit in Anspruch zu nehmen.
Es geht darum den Männern deutlich zu machen, dass das Teilen von Haus- und Familienarbeit keine gute Tat im Interesse der Frauen, sondern in ihrem ureigensten Interesse ist. Sie müssen lernen ihre Scheu vor dem feuchten Textil, vor Windel, Wischtuch, Wäsche zu überwinden. Und es geht vor allem um die Väter, die dieses Teilen wollen, die dadurch Schwierigkeiten im Betrieb haben, die von Kollegen bespöttelt und von Vorgesetzten von Karrieremöglichkeiten ausgeschlossen werden. Auch hier muss sich in den Unternehmen auch in deren ureigenstem Interesse etwas ändern.
Das möchte ich an einem, fiktiven Einstellungsgespräch illustrieren:
Dieses Beispiel habe ich bei einem Führungsseminar auf Schloss Gracht in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts vor Führungskräften der deutschen Wirtschaft, 35 an der Zahl, aus allen Bereichen von BASF über Deutsche Bank bis VW, in alphabetischer Reihenfolge um mich sitzend tatsächlich verwandt.
Also:
Stellen Sie sich vor: ein Großunternehmen, die Personalchefin, nennen wir sie der Einfachheit halber Schmidt, sitzt dem Bewerber für eine gehobene Führungsposition, nennen wir ihn Herrn Dr. Zeitz gegenüber (hier benutzte ich den Namen des neben mir sitzenden Letzten im Alphabet), verheiratet, drei Kinder, 37 Jahre alt.
Frau Schmidt blättert in ihren Unterlagen und sagt: „Also, Herr Dr. Zeitz, Sie haben ja ganz ausgezeichnete Qualifikationen. Nur eines finde ich nicht, Sie sind doch verheiratet und ha- ben drei Kinder?“
Dr. Zeitz: „Ja.“
Frau Schmidt: „Dann habe ich es wahrscheinlich überblättert. Sagen Sie, wann haben Sie Ihre Erwerbstätigkeit wegen der Kinder unterbrochen, waren teilzeitbeschäftigt oder haben Elternzeit in Anspruch genommen?“
Herr Dr. Zeitz merkt, worauf das hinausläuft, wird trotz seines Selbstbewusstseins verlegen, kommt sogar ein bisschen ins Stottern und sagt: „Meine Frau, also ich und meine Frau haben beschlossen, dass diese Aufgabe meine Frau übernimmt.“
Daraufhin klappt die Personalchefin Schmidt bedauernd die Bewerbungsunterlagen zu und sagt: „Dann kommen Sie für eine Führungsposition in unserem Haus leider nicht infrage. Wir legen Wert darauf, dass unsere Führungskräfte, soweit sie Kinder haben, die Kompetenzen, die man in der Familienarbeit erwerben kann, auch tatsächlich selbst erwerben.“
Da Frau Schmidt aber eine gute Psychologin ist, klopft sie Herrn Dr. Zeitz begütigend auf die Schultern [habe ich auch tatsächlich getan] und muntert ihn auf: „Sie sind ja noch jung, ihre Kinder sind noch klein, holen sie diese Erfahrungen nach, dann stehen Ihnen alle Türen un- seres Hauses offen.“
Nach diesem in meinen Augen vollkommen harmlosen, auflockernden Beispiel versicherten mir dreiunddreißig von fünfunddreißig Führungskräften der deutschen Wirtschaft, dass ich, erstens ungeheuer aggressiv sei (ich bin eine Seele von Mensch) und, zweitens, dass ihre Frauen vollkommen freiwillig zu Hause blieben und das viel lieber täten, als in ihren unge- liebten Berufen zu bleiben. Zu diesen „ungeliebten“ Berufen gehörten Lehrerin und Musikerin genauso wie Betriebswirtin, Sekretärin, Verkäuferin und Programmiererin.
Zwei Führungskräfte der deutschen Wirtschaft kamen in der Kaffeepause, einzeln und sich vergewissernd, dass niemand zuhörte, zu mir, sagten mir, dass ich völlig Recht hätte, dass ihre Frauen trotz Kindern im Beruf geblieben seien, dass man das in „diesen Kreisen“ aber nicht laut sagen könne.
Ähnliches spielt sich auch heute noch ab. Dabei wären Unternehmen jetzt gut beraten, wenn sie Frauen- und Familienfreundlichkeit praktizieren. Dies lohnt sich nicht nur für Mütter, Väter und Kinder, sondern vor allem für die Unternehmen selber, wie es in der Zwischenzeit mannigfache Untersuchungen bestätigen.
Im Jahr 91 nach der Einführung des Frauenwahlrechts stehen wir vor der Wahl:
Entweder der allzeit mobile Mensch beiderlei Geschlechts, der zeitlich unbegrenzt für berufli- che Aufgaben zur Verfügung steht, unbegrenzte Aufstiegschancen und nahezu unbegrenzte Verdienstmöglichkeiten hat, bar jedweder familiärer und gesellschaftlicher Pflichten.
Oder Menschen beiderlei Geschlechts die versuchen, ihre beruflichen, familiären und gesell- schaftlichen Verpflichtungen auszubalancieren, bei denen es Zeiten gibt, in denen erstere den größeren Raum einnehmen und Zeiten in denen Familie und oder Ehrenamt einen großen Raum einnehmen.
Wenn zur ersten Gruppe weiterhin nur Männer gehören, zur zweiten Gruppe überwiegend Frauen, wird sich nur wenig ändern. Die Kindheit bleibt verweiblicht. Die Frauen bleiben in Führungspositionen unterrepräsentiert oder kinderlos. Die Männer lernen weiterhin nur einen Teil ihres möglichen Lebensspektrums kennen und werden weiterhin, weil sie sich ausschließlich über ihren beruflichen Erfolg definieren, eine durchschnittlich geringere Lebenserwartung haben. Frauen und Männer wollen das zunehmend nicht mehr.
Und die Unternehmen können sich das zunehmend nicht mehr leisten. Denn sie sind angewiesen auf die gut qualifizierte Frauengeneration.
Es müssen also familien- und ehrenamtliche Kompetenzen als zusätzliche Qualifikation statt als Dequalifikation und unheilbaren Karriereknick im Beruf angesehen werden. Wenn wir dies erreichen könnten, wäre mein fiktives Einstellungsgespräch im Jahr 2015 vielleicht real. Nur so werden Frauen und Männer die gleichen Chancen haben können.
Dies mag visionär klingen, aber ohne konkrete Visionen werden wir nichts erreichen. Nicht das männliche Lebensmodell und unsere Anpassung daran, das wir mit hechelnder Zunge und 300 % Perfektionsdrang als Berufsfrau, Partnerin und Mutter nur in Einzelfällen erreichen werden, ist unsere Chance, sondern ein neues menschliches Lebensmodell, in dem nicht Männer die Maßstäbe setzen, denen sich Frauen anpassen, sondern die Bedürfnisse von Frauen, Kindern und Männern der Maßstab sind.
Zum Schluss möchte ich aber noch einmal auf das wichtigste für unsere Zukunft zurück- kommen: Die Kinder!
Wir brauchen in unserem Land einen Mentalitätswechsel für Kinder. Kein junger Mensch wird sich für Kinder wegen der demographischen Veränderungen, der Rentenfinanzierung oder der Gesundheitskosten entscheiden, auch nicht weil er oder sie Mecklenburg- Vorpommern wieder bevölkern wollen. Die Entscheidung für Kinder fällt nur dann, wenn wir Kinder vermissen. Dieses Vermissen von Kindern wird immer seltener, weil sich viel zu viele gut eingerichtet haben in einer Welt in der Kinder immer mehr zur Ausnahme werden, in der Verkehrslärm hingenommen, Kinderlärm aber gerichtlich verfolgt wird, in der man als kinderloses Paar in Begleitung einer mannshohen Dogge leichter eine Mietwohnung findet, als als Paar, die Mutter schwanger mit zwei kleinen Kindern. Und wenn von Kindern geredet und geschrieben wird, dann wird von Mühsal, Sorgen und Plagen berichtet.
Natürlich bedeuten Kinder auch Sorgen und manchmal können sie eine rechte Plage sein, aber an erster Stelle bedeuten Kinder Glück und die Gewissheit, dass etwas von uns bleibt.
Deshalb sollten wir, die wir Kinder haben über dieses Glück reden, damit unsere Kinder wieder lernen, Kinder zu vermissen.

 

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